Herten: „Ein bisschen gerader durchs Leben gehen“

Fotografieworkshop an der Rosa-Parks-Schule in Herten. Foto: Kristin Haug

Von Kristin Haug

An der Rosa-Parks-Schule in Herten engagieren sich die Kulturbeauftrage Ursula Zacher, der Musiklehrer Bernd Goralski und Kulturagentin Ariane Schön. Gemeinsam verwandeln sie die Gesamtschule zu einem Ort, an dem die verdeckten Talente der Schüler aufgedeckt und gefördert werden.

Sie erobern den Raum. Den äußeren und den inneren. Sie nehmen auf, sie nehmen wahr und fragen sich vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben: Was ist Heimat? Was macht sie aus? Die Schüler der 8. Klasse der Rosa-Parks-Gesamtschule verdunkeln gerade einen Glaswürfel in der Innenstadt von Herten. Vor ein paar Wochen gab es hier noch Schuhe zu kaufen. Der Würfel war nämlich einmal ein Geschäft mit großen Glasfenstern. Nun steht er leer. Glück für die Jugendlichen, denn sie dürfen das Gebäude in ein Museum verwandeln. Am Tag zuvor haben sie die Innenwände und Stützpfeiler des Raumes mit Zeitungspapier ausgelegt. Es ist Projektwoche an ihrer Schule.

Am Ende dieser Woche sollen hier die kreativen Arbeiten der Schülerinnen und Schüler ausgestellt und der Öffentlichkeit präsentiert werden. Die Arbeiten, das sind Fotos, Ton- und Videoaufnahmen von ihrer Heimat. Die Schülerinnen und Schüler haben fotografiert, was für ihre Heimat Herten, was für das Ruhrgebiet typisch ist: Zechen, und Kohlebergwerke, Straßen sowie den Fünfziger-Jahre-Schick aus Zeiten des Wirtschaftswunders. Sie haben Geräusche von Autos und Fußgängern aufgenommen und gefilmt, wie Menschen aus dem Bus aussteigen. Doch das Museum soll nicht nur in dem ehemaligen Kaufhaus bestehen, sondern auch im Internet als virtuelles Museum für bildende Kunst, Filme und Foto-Slide-Shows.

Die Rosa-Parks-Schule wirkt lebendig kurz vor den Sommerferien. Während der kulturellen Projektwoche können sich Schülerinnen und Schüler aller Klassen in verschiedenen Workshops ausprobieren. Es gibt einen Tanzkurs, einen Kurs, in dem die Schüler lernen, professionell Kunst zu fotografieren, eine Website-Gruppe, einen Architekturkurs, in dem die Jugendlichen Modelle von Gebäuden und Zimmern gestalten können. Andere entwerfen einen Schulkalender und eine Gruppe von Schülern verschiedener Jahrgänge nimmt eine CD auf. Im vergangenen Jahr hat die Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen, Hannelore Kraft, die Schule zu einer der herausragenden des Bundeslandes gekürt.

Langsames Herantasten

Herten hat rund 60.000 Einwohner und liegt im Ruhrgebiet. Drei Viertel der Rosa-Parks-Schüler haben einen Migrationshintergrund. „Die Lehrerinnen und Lehrer sind sehr stark gefordert, stärker als in anderen Regionen“, sagt Kulturagentin Ariane Schön. Einige Schülerinnen und Schüler seien noch nicht so sicher in der deutschen Sprache, umso mehr könnten sie sich über kulturelle Inhalte und künstlerische Verfahren entfalten und so Anerkennung bekommen. Schön weiß, wie schwer es die Lehrer der Rosa-Parks-Schule manchmal haben: Sie müssen nicht nur Fachwissen vermitteln, sondern auch mit den sprachlichen und sozialen Problemen der Kinder angemessen umgehen.

Der Start als Kulturagentin ist ihr dennoch leicht gefallen. Das liegt vielleicht an der Kulturbeauftragten Ursula Zacher. Sie pflegt schon seit Jahren einen engen Kontakt mit dem Kulturbüro der Stadt. Daher hatte sich die Rosa-Parks-Schule bereits an Stadtteilfesten und Schulkulturfesten beteiligt. Zacher hat ihre eigene Strategie, um zusammen mit Ariane Schön Kulturprojekte an der Schule auf die Beine zu stellen. „Ich gehe über die Schüler“, sagt sie. Sie gibt ihnen Informationszettel mit, spricht mit der Schülervertretung, fragt Oberstufenschüler, ob sie als Paten Kulturprojekte bei jüngeren Schülern mitbetreuen und lässt sie in ihren Klassen Werbung für Kulturveranstaltungen machen. So erreicht sie auch die Lehrerinnen und Lehrer, die bislang nicht genug Zeit hatten, um sich über das Kulturagentenprogramm zu informieren.

Bevor es das Kulturagentenprogramm gab, habe sie sich als Alleinkämpferin empfunden, sagt sie. Doch mittlerweile habe sie schon einige Lehrer mit an Bord holen können. „Mein Ziel war es immer, Kulturschule zu werden und durch das Kulturagentenprogramm hat das einen gehobenen Stellenwert bekommen.“

Kompetenznachweis kulturelle Bildung

Mindestens zwei Stunden treffen sich Schön und Zacher in der Woche, um sich über neue Projekte auszutauschen. Zacher arbeitet neben dem Unterricht viel für kulturelle Angebote an der Schule. Zu ihrer Arbeit, sagt sie, gehöre Herzblut. Zacher steht ein für ihren Beruf. Sie versucht, die Fähigkeiten und Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler ausfindig zu machen. Sie sucht nach Leidenschaften und ist froh, wenn sie spürt, was den Kindern liegt. „Kulturelle Bildung ist für die Berufswelt wichtig, aber auch für die Persönlichkeitsentwicklung, sagt Zacher.

Kulturelle Bildung fördere den Teamgeist, mit Menschen reden können, sich einbringen können, haptische Fähigkeiten entwickeln. Das alles gehe ja oft im Alltag unter. Zacher möchte, dass alle Schülerinnen und Schüler, wenn sie die Rosa-Parks-Schule abgeschlossen haben, ein Zertifikat erwerben. Dort sollen alle kulturellen Projekte oder Workshops aufgelistet werden, an denen sich die Schüler beteiligt haben. Sinnvoll sei auch eine Mappe, in denen die Schüler ihre Kunstwerke sammeln könnten.

Ebenso wie Ursula Zacher brennt auch Bernd Goralski für seinen Beruf, Der Musiklehrer und ehemaliger Rockmusiker ist froh, dass es das Programm an der Schule gibt. Während der Projektwoche verwirklicht er mit den Schülern etwas ganz Besonderes. Er nimmt mit ihnen ein Lied auf. Eine eigene CD wird entstehen. Im Proberaum, im Keller der Schule, steht Nico Lechtenböhmer am Mikrofon und rappt sein Lied „Eine Kerze brennt“. Er hat in diesem Jahr sein Abitur gemacht, ist der Schule aber noch so verbunden, dass er während der Projektwoche für ein paar Tage zurückkommt. Den Text hat er im vergangenen Jahr in Polen im Bus geschrieben. An dem Tag hatte sich seine Klasse die KZ-Gedenkstätte Auschwitz angesehen. „Ich will die Menschen daran erinnern, was das für eine düstere Zeit damals war“, sagt er.

Goralski freut sich über das Engagement seiner Schülerinnen und Schüler: „Ich habe bei dem Lied nur Hilfestellung geleistet – wie man einen Song strickt und dass da ein Refrain hin gehört, der gesungen werden muss und dass man Backgroundstimmen braucht.“ Viele Kinder hätten nicht die Unterstützung der Eltern von Zuhause, um ein Musikinstrument zu lernen, sie müssten langsam heran geführt werden. Manche hätten noch nie eine E-Gitarre gesehen oder sängen nur in der Badewanne. Kultur, sagt der Musiklehrer, tue ihnen gut, sie zögen da sehr viel Selbstbewusstsein heraus. „Bei einigen führt das dazu, dass sie ein bisschen gerader durchs Leben gehen.“ Und wenn das Projekt erfolgreich läuft, dann könnte das für andere Schüler motivierend wirken, sie anspornen, sich auch mehr an kulturellen Projekten und Initiativen zu beteiligen.

Auch in dem ehemaligen Schuhgeschäft, das gerade zum Museum wird, werden Talente der Schüler hervorgeholt. Ein paar Jungs der 8. Klasse reden wild durcheinander, fragt man sie nach dem, was ihre Heimat besonders macht, sagen sie erst „McDonalds“. Aber das gibt es ja überall. „Stillgelegte Zechen und künstliche Berge“, sagen sie dann. Mit ihren Handys machen sie Fotos von den Besonderheiten. Ein Schüler sagt, er habe das erste Mal bewusst den Landschaftspark der Stadt fotografiert. Da sei er gerade auf dem Weg zum Fußballtraining gefahren. Und habe einen Moment inne gehalten.