Nr. 518 hat keine Geheimnisse oder vielleicht doch?

3. Mai 2018 | Berlin Ein subjektiver Erfahrungsbericht zur ersten Werkgesellschaft.KA

Der Sturm hatte mich ins HAU 3 getrieben an diesem nassen und sehr ungemütlichen Januartag. Wie eine säumige Schülerin sitze ich mit den anderen Zuspätkommer*innen vor den beiden weiß gewandeten und geschminkten Schülerinnen, die uns erklären, was von uns erwartet wird. Nachfragen werden eloquent ignoriert oder ausweichend beantwortet. Als erstes ein Gesichtscan. Die Apparatur spuckt für jede einen selbstklebenden Papierstreifen mit QR-Code und Nummer aus. Nun ist Nr. 518 im System.

Im nächsten Raum

Eine Metalltür, die an einen Luftschutzraum erinnert, öffnet den Zugang zum nächsten Raum: Spiegelflächen, Nebelschwaden, semitransparente Plastikfolien, Vorhänge. Dazwischen diskutieren die Teilnehmer*innen darüber, wer noch mit wem „verkehren“ darf, damit es keine Nachteile gibt, wen man besser nicht mehr kennt, was gerade angesagtes Verhalten ist, für das es „Punkte“ gibt, wie man das eigene Punktekonto auf clevere Weise auffüllen könnte.
Ich muss ein wenig lachen. Ich sehe Schüler*innen agieren, von denen ich weiß, dass sie im wirklichen Leben alles andere als angepasst sind, denen Autoritäten im allgemeinen recht egal sind. In ihren Rollen wirken sie absolut angepasst. Außerdem werden sie von den Vorhängen und Folien Menschen oder Gerätschaften mit Aufzeichnungsfunktion halb verdeckt.

Überwachung

Oder bilde ich mir das nur ein? Eine Besucherin will fotografieren. „Handy verboten“, wird sie angeherrscht. Mein Widerspruchsgeist muckt auf und ich frage, wo das denn stünde. Offensichtlich ein Fehler. Sofort werde ich separiert und im Nebenraum gemeinsam mit einer weiteren Aufmüpfigen einer „Sonderbehandlung“ unterzogen – einer Art Lügendetektorverfahren. Detailliert erklärt der junge Mann hinter dem Bildschirm anhand von wissenschaftlich daherkommenden Grafiken das Ergebnis des Tests. Obwohl die Antworten sich unterscheiden, werden wir sehr unterschiedlich bewertet. Meine Nachbarin bekommt nur ganz wenige Sozialpunkte, meine Punktzahl ist ziemlich hoch. Die reine Willkür. Merkwürdigerweise spreche ich in der anschließenden Reflexionsrunde mit Anton Kats nicht ohne ein Fünkchen Stolz darüber. Sollte ich so leicht zu korrumpieren sein?

Nachtrag mit zeitlichem Abstand

Der besondere Reiz dieser ersten Werk.Gesellschaft.KA war der Ausbruch aus der Normalität des Diskurses. Es hat Spaß gemacht, Teil von Fiktion zu sein und spielerisch Handlungsmöglichkeiten zu erproben, die nicht zur eigenen Person gehören und Eigenschaften und Verhaltensweisen an sich zu entdecken, die nicht dem Selbstbild entsprechen. Würde man diese Eigenschaften ausleben, wenn sich die Verhältnisse ändern?

Kontakt

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